Kubisch-minimalistische Lebensweise – Kubimi

Wie kam es zur Idee?

Kochen, Holz sägen, gärtnern oder mal ein Buch lesen – im Lockdown sind viele Menschen an ihre Grenzen gekommen, unter anderem auch an ihre räumlichen Grenzen. Rausgehen, sich an anderen Orten aufhalten war zeitweise verboten. Daher verlagerten Menschen ihren kompletten Lebensmittelpunkt zu sich nach Hause, in ihr Haus oder ihre Wohnung. 2020 lebten mein Mann und ich noch in unserer 80 Quadratmeter Altbauwohnung in Berlin. Eigentlich viel Platz für zwei Personen. Eigentlich. Denn als es hieß, wir durften unsere Wohnung kaum mehr verlassen, das Home Office in die vier Wände einzog, merkten wir schnell, dass wir an unsere Grenzen kamen. Das Schlafzimmer verwandelte sich in mein Büro. Bücher, Ausdrucke und Arbeitsgedanken hingen in der Luft. Entsprechend dicke Luft abends, leichter und besorgter Schlaf nachts. Das Wohnzimmer nutzte mein Mann als Vorlesungssaal, Tonstudio, Bibliothek usw. Die Küche nutzten wir als Kantine, hier aßen wir, sprachen über die Arbeit wie Arbeitskollegen (diese waren ja nicht da) und fühlten uns zunehmend eingeengt in der doch eigentlich so großen Wohnung. Freizeit verbrachten wir ebenfalls in den gleichen Räumen.

Durch das Gefühl der Enge, aber auch der Zeit, die ich hatte, fing ich an unsere Wohnung, neu zu entdecken. Neu zu sehen. Und, auch mehr Raum zu schaffen. Durch Ray Oldenburgs aus der Soziologie geprägten Begriff des „Dritten Ortes“ kam mir der zündende Gedanke, diesen nicht außerhalb meiner eigenen vier Wände zu suchen, wie Oldenburg intendiert, sondern innerhalb dessen, was mir ohnehin vertraut war. Das Resultat: Ein Mini-Selbstversorgerbalkon auf 1,8m x 1m mit selbstangebauten Kräutern, Tomaten, Radieschen, Karotten und Blumen. Multifunktionale Nutzung der Küche als Holzwerkstatt für mein kleines Gewächshäuschen und vergessene und kaum beachtete Wohnungsecke dienten zum Denken, Lesen und Entspannen. Ich habe einen vollkommenen Perspektivwechsel meiner eigenen Wohnung angestrebt.

Der Gedanke dazu kam mir, wie eigentlich alle guten Gedanken, unbeabsichtigt, indem ich durch einen Zufall mich verkehrt herum auf das Bett legte und aus dieser Perspektive die Ästhetik unserer auf 3,20 Meter hoch hängenden Lampe wahrgenommen habe. Das hat mich angespornt, nach mehr solchen Orten in der eigenen Wohnung zu suchen und sie bewusst neu wahrzunehmen. Ich bin wie ein Fremder durch die Räume gegangen und das hat mir ein neues Lebensgefühl beziehungsweise Motivation gegeben.

Kubisch denken

Oldenburg spricht vom Dritten Ort als Ausgleich zwischen Familie und Arbeit. Im Lock-Down war das nicht möglich. Deshalb stülpte ich den Gedanken nach innen statt nach außen (wie oben schon gesagt). Ich teilte also die Wohnung kubisch ein: Räume wurden multifunktional umstrukturiert und auch bewusst innerhalb ihres temporären Dienstes auch nur so wahrgenommen. Die Küche verwandelte sich im Handumdrehen in eine Holzwerkstatt, in der wir gesägt und geschliffen haben. Das eigentliche Wohnzimmer diente als Arbeitszimmer, Lesezimmer, Tonstudio für Konferenzen im Home- Office. Das Schlafzimmer betrachtete ich fortan als den Vorort für den Balkon, der mein persönlicher Garten geworden war.

Minimalistisch leben

Um sich mehr Raum zu schaffen (Küche nicht nur als Küche sehen, um mehr auszuprobieren), expansiver bzw., extensiver, muss man sich bewusst in diese Umbauphase des Ortes begeben und sich nicht davor scheuen (oje, man müsste später aufräumen, sauber machen oder Möbel zurückstellen). Gleichzeitig bedeutet mehr Raum, nicht mehr Dinge, Möbel und andere Gegenstände anschaffen oder reinstellen. Hier gilt es, sich etwas ausleihen bzw. kritisch hinterfragen: Brauche ich dieses oder jenes, um mein Vorhaben zu schaffen? Ausmisten kann sogar den Umbau erleichtern und die Multifunktionalität eines Raumes fördern.

Kubimi lässt sich auch auf andere Bereiche anwenden, wie etwa Essen als Geschmacksraum oder Nachhaltigkeit als Entscheidungsraum. Ich spreche bewusst von “Räumlichkeiten”, die entweder sowohl physisch erkennbar sind oder eher zunächst abstrakt erscheinen, uns jedoch im Alltag begleiten. Wie eben Essen oder nachhaltig leben. Zusätzlich spielt immer unser Bewusstsein oder genauer gesagt, unsere Entscheidung etwas bewusst wahrzunehmen eine Rolle. Ohne einer solcher (kritischen) Reflexion ist jenes nicht möglich.