“Kunststoff ist totes Material”, Diana-Jolanthe Kitzinski

Kunststoff ist tot. Stumpf. Dumpf. Holz lebt. Klingt. Riecht. Materialien wirken unterschiedlich im Raum. Sie besitzen jeweils nicht nur eine andere Haptik, sondern haben auch Einfluss darauf, ob wir schwitzen und wie wir uns fühlen. Und nicht zuletzt prägen sie die Luft, die wir atmen. Denn Material – von OSB-Platten zu Spanplattenmöbel bis hin zu Deko und anderem Krimskrams – sondern über eine lange Zeit Schadstoffe aus. Als Innenarchitektin und angehende Baubiologin berät Diana-Jolanthe Kitzinski* Kunden auf ihrem Weg zu einem gesunden und nachhaltigem Zuhause.

Diana, Du bist Innenarchitektin und angehende Baubiologin. Spannend! Was machst
du als Baubiologin konkret?

Momentan bin ich noch in der Ausbildung zur Baubiologin. Ich habe zwar immer unter gesundheitlichen Aspekten geplant, aber die Baubiologie hat einfach nochmal einen ganzheitlicheren Blick. Der typische Beruf des Baubiologen konzentriert sich darauf Störungen im Wohn- und Arbeitsumfeld aufzufinden, wenn sich Schäden im Gebäude oder Beschwerden bei Bewohnern und Nutzern auftun, für die es sonst keine Erklärungen gibt oder deren Symptome auf ein ungesundes Umfeld zurückzuführen sind.

Als Planerin möchte ich es erst gar nicht dazu kommen lassen. Ich berate daher Bauherren bei Neu- oder Umbauvorhaben ihre Umgebung von Anfang an gesund und nachhaltig zu gestalten. Meine Leistung erstreckt sich von den ersten Entwürfen bis hin zur Ausführungsplanung und Vergabe an die Gewerke und endet, wenn gewünscht, bei der Baubegleitung bis zur Fertigstellung. Gleichzeitig berücksichtige ich nachhaltige Aspekte. Als Koordinatorin für Nachhaltiges Bauen kenne ich die Kriterien sehr gut und kann sie auch messbar umsetzen.

Worauf legst Du in Deiner Tätigkeit am meisten Wert?

Die Arbeit ist für meine Kunden wie eine kleine Therapie. Für mich ist es wichtig herauszufinden, welche Bedürfnisse hinter ihren Wünschen stehen. Denn oft schauen wir nach links und rechts, was die anderen so machen und was gerade en vogue ist. Aber manches funktioniert nicht immer und nicht für jeden gleich. Ich hatte mal für eine Familie einen Umbau begleitet, deren Haus nicht mehr dem aktuellen Standard entsprach und die sich mehr Platz durch einen Anbau gewünscht hatte. Durch gemeinsame Gespräche haben wir heraus gefunden, dass es gar nicht um mehr Platz ging, sondern um bessere Rückzugsmöglichkeiten für jeden einzelnen. Wir haben das Haus minimal umgebaut und haben den aufwändigen und kostenintensiven Anbau weggelassen. Daher schaue ich genau hin und mache zu Beginn eine tiefgehende Analyse, bevor ich in die Entwurfsphase gehe.

Worauf fällt Dein Blick als allererstes, wenn Du eine Wohnung oder ein Haus betrittst?

Das ist tatsächlich ganz individuell. Jeder von uns hat etwas ganz Besonderes in der Art und Weise wie er wohnt. Was ich oft sehe, ist, wie das Zuhause das Innere eines Wesenszustandes widerspiegelt oder sogar darauf Einfluss nimmt. Bis jetzt hatte ich immer ein gutes Gespür dafür. Ein unruhiger Geist wird sich beruhigen, wenn er sein Zuhause ordnet. Jemand, der nur kalte und glatte Oberflächen hat, ist auch in seiner Persönlichkeit eher der rationale, kühlere Typ. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel. Bei Freunden kann ich gut wegschauen. Sie sind mir meist näher, weshalb wir auch andere gemeinsame Themen haben.

Enthalten gängige Baumaterialien (z.B. OSB-Platten, Porotonziegel, Fenster etc.) heutzutage immer noch Schadstoffe, die bedenklich sind?

Viele Fehler der Vergangenheit wurden erkannt und mit ihnen wurden inzwischen strengere Grenzwerte gesetzlich geregelt, wie z.B. für Formaldehyd. Der Weg dahin, bis ein Schadstoff als solcher anerkannt wird, ist allerdings sehr mühselig. Die Wirkungen durch chemische Stoffe sind eher schleichend. Es dauert lange bis etwas festgestellt werden kann. Eine Asbestlunge hat man ja auch nicht über Nacht bekommen. So wurde Asbest trotz kritischer Stimmen aus der Medizin über 50 Jahre in fast allen Baustoffen verbaut.
Ein weiteres Problem erschließt sich in den Grenzwerten. Denn sie beziehen sich nur auf das Material. Worauf es aber ankommt, ist die Menge an Schadstoffen, die sich im Raum befindet. Wenn ich also eine OSB-Platte mit dem Bindemittel Polyurethan im Raum verbaue, deren Schadstoffkonzentration gerade so innerhalb des Grenzwertes liegt und anschließend ein Spanplattenmöbel kaufe, das ebenso polyurethangebunden ist, kann es somit zu einer zu hohen Belastung im Raum führen. Das kann zu einer gesundheitlichen Gefahr für den Menschen werden. Hinzukommt, dass sich chemische Verbindungen in der Luft auch gegenseitig beeinflussen und verstärken können. Am besten wäre es eine Nulltoleranz gegenüber Schadstoffen in Baumaterialien einzurichten. Aber davon sind wir leider noch weit entfernt trotz etlicher Krankheitsfälle, die mit chemischen Stoffen in Baumaterialien in Verbindung gebracht werden.

Raumklima und Nachhaltigkeit – was heißt es für Menschen im Alltag konkret? 

Das Raumklima wirkt sich unmittelbar auf den Menschen aus. Wenn wir für ein gesundes Raumklima sorgen, können wir sehr viel zu unserer Gesundheit beitragen. Nebenbei könnten wir viel Gelder im Gesundheitswesen einsparen. Das betrachte ich als einen der wichtigsten Punkte in der Nachhaltigkeit. Denn wenn wir unsere Umwelt gesund lassen, erhalten wir auch uns Menschen gesund.

Sofa aus Leder, Kerzen für Deko und allerlei Krimskrams: Wie beeinflusst unsere Einrichtung unser Raumklima gesundheitlich? 

Oh, tatsächlich habe ich Kerzen noch nicht im Kontext vom Raumklima gedacht. Aber ja, wenn wir eine Kerze mit Paraffin statt mit Bienenwachs abbrennen, verändert sich die Luftqualität eher zum Schlechten. Das könnte negative Auswirkungen auf unsere Atemwege haben. Tatsächlich spielt die Einrichtung eine viel größere Rolle für das Raumklima, als es von den meisten wahrgenommen wird. Denn einerseits gasen Baumaterialien über einen langen Zeitraum aus, wodurch sich die Qualität der Raumluft verändert. Und andererseits wird die Luftfeuchtigkeit über die ersten zwei bis drei Zentimeter aller Oberflächen reguliert. Je weniger offenporige Materialien sich im Raum befinden, desto weniger kann Feuchtigkeit aufgenommen werden. Wenn dann noch zu wenig gelüftet wird, kann es sogar zu Schimmelbildung kommen.

Sondern Materialien in Möbeln Schadstoffe aus?

Ja. In der baubiologischen Messtechnik werden noch heute erhöhte Konzentrationen an Schadstoffen in Räumen festgestellt. Sie kommen aus alten Baumaterialien, wie z.B. Lindan in Holzanstrichen oder Formaldehyd und Asbest in Wandverkleidungen. Aber auch in Neubauten emittieren Fugenmassen, Werkstoffe, Polstermöbel und Teppiche etc. schädliche Substanzen.

Können Formen – eckig, rund etc., – Raumform inbegriffen – unser Wohlbefinden beeinflussen?

Oh ja! Wir Menschen sind soziale Wesen und gehen mit dem Raum eine Wechselbeziehung ein. Das bedeutet, dass alles auf uns einen Einfluss hat. In der Gestaltpsychologie wird die Wirkung von Formen und Farben, aber auch Gerüchen und Klängen auf uns Menschen psychologisch erklärt. Mit der Abkehr zur Natur haben wir vielleicht das Bewusstsein dafür verloren, aber nicht die Wirkung per se.

Was bedeutet es, Materialien im Raum wahrzunehmen? Hat ein Holzstuhl eine andere Wirkung auf uns als ein Plastik- oder Metallstuhl?

Wir Menschen besitzen fünf Sinne, seit den neuesten Erkenntnissen sogar sechs. Sie alle wollen stimuliert werden. Unsere westliche Gesellschaft ist sehr stark auf den visuellen Sinn reduziert. Wenn wir aber die anderen Sinne vernachlässigen, dann verkümmern sie und wir stumpfen ab mit tiefgreifenden Folgen. Schaffen wir es alle unsere Sinne anzuregen, dann kommt das unseren neuronalen Verbindungen zugute. Für die kindliche Entwicklung z.B. sind diese essentiell.

Ein Holzstuhl ist eindeutig die bessere Wahl. Denn zum einen wird durch die Haptik unsere Sensorik angeregt. Wir empfinden eine Verbundenheit zur Natur – vorausgesetzt der Stuhl ist unbehandelt und nicht lackiert. Ein Kunststoffstuhl hingegen ist glatt und trägt keinerlei Informationen für unsere Fingerspitzen in seiner Oberfläche. Zudem ist Kunststoff ein totes Material und kann keine Feuchtigkeit aufnehmen, weshalb wir auch nach einiger Zeit anfangen zu schwitzen oder auch ab und an auf Grund der hohen Leitfähigkeit im Material elektrostatisch aufgeladen werden. Möbel riechen aber auch unterschiedlich oder sie tragen zu unserem auditiven Empfinden bei – entweder direkt über den Materialschall oder durch die Art und Weise, wie sie Frequenzen im Raum reflektieren.

Ist eine minimalistische Lebensweise „gesünder“? Sollten wir also weniger Möbel und Deko haben?

Das würde ich so nicht sagen. Wir sind alle sehr unterschiedliche Wesen mit unterschiedlichen Temperamenten. Was für den einen zu viel ist, kann den anderen zu wenig anregen und langweilig sein. Wichtig ist, dass wir wieder in ein Spüren kommen, was uns gut tut und was nicht. Und der Umwelt zu Liebe wäre es toll, wenn die Dekoartikel aus nachhaltigen Materialien gefertigt wären und länger als eine Saison bestünden. Auch das ist ein gesunder Weg. Denn alles, was wir auf diese Erde bringen, muss ja irgendwie auch wieder in den Kreislauf rückgeführt werden. Ich selbst mag es, wenn ich mich mit Dingen umgebe, die etwas Persönliches in sich tragen, mir eine schöne Erinnerung schenken oder aber eine Funktion erfüllen, wie ein Kerzenständer oder eine Vase.

Können Ökologie und Design eine Symbiose eingehen?

Wer ein Designstück entwirft, verbringt sehr viel Gedankengut und Zeit mit dieser Aufgabe. Die Intention dahinter ist nicht selten, etwas zu erschaffen, was Bestand hat. Wenn man in die Vergangenheit schaut, so haben auch manche Designer ikonographische Stücke hervorgebracht, die noch heute Beachtung finden. Natürlich wussten sie zu ihrer Zeit nicht, dass Kunststoff so umweltschädlich sind.

Heute beobachte ich immer mehr junge Designer, die sie sich Gedanken machen über die Zukunft, über den gesamten Herstellungsprozess und den Einfluss, den ihre Produkte auf die Umwelt haben.

Welche Tipps hast Du für die Leser, um im Alltag auf ein gesundes Raumklima zu achten?

Das Raumklima wird durch das äußere Klima, die Bauweise und die Baumaterialien und vor allem den Materialien bestimmt, die den Menschen unmittelbar umgeben. Dazu zählen nicht nur Wand und Boden, sondern auch die Oberflächen der Einrichtung. Es wird durch die Temperatur, die Luftfeuchtigkeit, die Oberflächenbeschaffenheit und das Elektroklima bestimmt. Alle vier Faktoren unterteilen sich in viele Einzelaspekte und beeinflussen sich gegenseitig. Das Thema ist eins der wichtigsten in der Baubiologie. Ich habe dazu eine dreiteilige Podcastfolge aufgenommen, in der ich im Detail auf die einzelnen Faktoren eingehe und erkläre, wofür sie stehen und was man für ein gesundes Raumklima tun kann. Wer direkt etwas tun möchte, könnte darauf achten, regelmäßig zu lüften, eine optimale Luftfeuchtigkeit von 45-55% und Temperaturen zwischen 19-23 Grad einzustellen und möglichst auf natürliche Materialien zu setzen.

Und noch ein Tipp für ein gesundes Umfeld für Kinder?

Für Kinder ist ein gesundes Umfeld besonders wichtig. Ihre Haut ist 30-mal durchlässiger als die eines Erwachsenen. Alles, was in den ersten sechs Jahren auf sie einwirkt, hat langwierige gesundheitliche Folgen. Daher ist es gut, wenn man sich mal alles anschaut, womit Kinder in Kontakt kommen könnten. Im textilen Bereich sind das vorallem Spielteppiche, aber auch Bettwäsche, Dekokissen und Kuscheldecken. Natürliche Materialien bergen deutlich weniger Schadstoffe. Wichtig ist hierbei der Verzicht auf Beschichtungen wie Fleckschutz sowie chemische Behandlungen, um Wasser abzuweisen, und die Vermeidung von Bioziden. Um Elektrostatik zu verhindern, sollten Möbel möglichst aus unbehandeltem Naturholz sein. Wem Nachhaltigkeit wichtig ist, der kann sich nach Möbeln umschauen, die mitwachsen oder mehrere Funktionen haben und FSC-zertifiziert. Ein super Beispiel dafür ist der Berliner Hocker, der inzwischen auch als Montessori Hocker bezeichnet wird. Wir haben unserer Tochter einen gekauft als sie 1,5 Jahre alt war. Jetzt nach 4 Jahren Benutzung als Stuhl und Tisch und nachdem der hohe Sitz auch zu tief wurde, nutzen wir ihn als Buchkiste. Denn Möbel, die für einen längeren Gebrauch gefertigt wurden, sind auch hochwertiger verarbeitet.

*Auf Dianas Blog findest du weitere spannende Aspekte rund ums gesunde Raumklima, aber auch zum Thema nachhaltiges Bauen und Wohnen. Außerdem kannst du dich von ihr auf Spotify inspirieren lassen.